Ich säte Blumen und erntete Krieg – Eine Glosse

Ja, ich bekenne: das mit den Gartenpflanzen habe ich total unterschätzt. Darum fand ich es erst auch einfach nur super, als wir eine Wohnung mit riesiger Terrasse bezogen und Familie und Freunde diese nach und nach mit Pflanzen bevölkerten. Das bisschen Pflanzengießen und so würde nebenbei gehen wie nichts. Dachte ich. Und hatte überhaupt nichts dagegen, dass auf unserer Terrasse ein richtiggehender Park entstand. Vielleicht muss ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich ein absolutes Stadtkind bin. Natürlich kannte ich Bilder von Menschen, die mit Gartenarbeit beschäftigt waren. Aber die hielt ich für Leute, die vor Langeweile eben ein wenig an ihren Pflanzen herumschnitten. Viele davon, so dachte ich, Spießer und zwanghafte Pedanten, die wohl einfach dafür sorgen wollten, dass jeder Grashalm genau gleich lang war und der Rosenstrauch nicht ein Zentimeter außer Kontrolle geriet.. Dann säte ich selbst Blumen und erntete Kriege. – Vom Gießen und Beschneiden der Pflanzen rede ich gar nicht. Es ist für mich normal geworden, dass sie Badewannen voll Wasser an einem Tag... benötigen und nur weiterblühen, wenn ihnen verblühte Äste abgehackt werden.
Als Ameisenhorden auf unserer Terrasse den Einstand feierten, war ich erst noch gewillt, ein halbes Wunder darin zu sehen: dass diese Tiere fünf Stockwerke hinaufklettern hätte ich nie gedacht! Die Ameisen sonnten sich in meiner verdutzten Bewunderung und beeilten sich, mir ihre Fortpflanzungsfähigkeiten vorzuführen, bis ich vor lauter Krabbeltieren nicht mehr wusste, wo die Füße hinsetzen. Dann musste ich feststellen, dass die Ameisen mit Vorliebe auf den Rosensträuchern ihre Blattlausherden hegten und pflegten und dort genauso für die Fortpflanzung sorgten. Den Pflanzen aber bekommt vieles Getier, das sie anlocken, überhaupt nicht. Und dann die Aliens! Kreaturen von deren Existenz ich bisher nicht die leiseste Ahnung hatte, krochen unter den Pflanzentöpfen hervor oder arbeiteten sich an den Ästen empor, vermehrten sich und sorgten irgendwie wiederum für andere Tiere. Feindschaften, Bündnisse und Nahrungsketten, die zuvor an meinem Leben völlig vorbeigegangen waren, erschlossen sich mir jetzt. Ich wurde Zeuge von Mord und Totschlag, von Fressen und Gefressenwerden, vom Untergang schwächerer Völker. Und irgendwann verstand ich, dass ich eingreifen musste. Bisher hatte ich eher so aus der Defensive gehandelt. Eines Morgens aber wachte ich auf und erkannte, dass das so nicht weitergeht. Ich musste die Führung übernehmen. Ich musste mich der Verantwortung stellen, musste den Grausamkeiten, die auf meiner Terrasse stattfanden, in die Augen blicken und Entscheidungen treffen, Partei ergreifen. Ausreißen und wegschneiden, was falsch wuchs und meine gewünschten Pflanzen verdrängte, ausrotten, was meine Erwählten gefährdete. Pionierpflanzen, die um Asyl baten, musste ich abweisen. Es war schrecklich. Es ist schrecklich. Kein Mensch hatte mich darauf vorbereitet: Gärtnern ist Kriegsführung. So oder so. Inmitten der Gartenpflanzen und ihrem Getier bleibt keiner ohne Schuld. Gärtnern ist ein ständiges Aufbäumen gegen die Natur. Ein Kräftemessen mit Goliath. Man blickt der Vergänglichkeit in ihr hämisches Antlitz wie selten. – Am liebsten würde ich heute jeden einzelnen gärtnernden Menschen, dem ich früher mal begegnet bin, aufsuchen, ihm die Hand schütteln und um Verzeihung bitten dafür, dass ich einst so niedrig von ihm gedacht habe.


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