Vom Ernst des Häkelns – eine Glosse

Es muss einen Grund dafür geben, warum ich das Häkeln mag. Vielleicht irre ich mich auch...
Vielleicht gibt es viele Gründe. Vielleicht ist diese relativ neue Begeisterung von mir multikausal. Aber ich bin ein ernst grüblerischer, oft sogar intellektueller Mensch und mag plötzlich das Häkeln. Warum?
Ehrlich gesagt, habe ich mich zwischendurch fast geschämt dafür. Des Unverständnisses in den Gesichtern meiner Umgebung wegen. Ich habe dann ganz schnell das englische Wort für Häkeln gelernt und fand, die Sache klinge dadurch schon besser. "Crochet". Klinkt besser als "Häkeln", oder? "Handarbeit" klingt auch so unsexy. Komplett. Da habe ich genauso versucht Ausweichwörter zu finden. Meist habe ich mich für "Designen" entschieden.
Zusätzlich habe ich Gespräche darüber ganz schnell mit den Worten "Vintage", "shabby", "trendy" und "in" angereichert.
Je nachdem wem ich gerade gegenüber stand, habe ich auch die eine oder andere berühmte Persönlichkeit genannt, die zu diesem Trend beiträgt. Manchmal bin ich gleich mit "Hollywood im Allgemeinen" gekommen. Und mit "Trends, die herüberschwappen".  Aus Amerika und Japan und so. Dann habe ich noch auf die japanische Niedlichkeitskultur verwiesen, die uns endlich erreicht hat. Mit all dem habe ich mein Ansehen bei den Akademikern und Intellektuellen jeweils gerettet. Weil ich meine neue Begeisterung einbetten konnte in ein kulturelles Bewusstsein.
Manchmal habe ich es dann sogar geschafft, den Spieß umzudrehen: Ich habe die Begriffe Kawaii, Kokeshi und Amigurumi benutzt und, wenn ich dann Fragezeichen in der Luft hängen sah, die Augen  aufgerissen und laut gestaunt, dass derart wichtige Dinge an manchen Leuten vorübergehen. Trends, die doch gerade jedes Kind kennt...!
Asien ist gerade trendy. Da macht es sich gut, wenn man sagen kann, dass man sich in japanischer Häkelkunst übt. Wobei die Betonung unbedingt auf japanisch und Kunst liegen sollte. Das nehmen die Leute jeweils mit wohlwollenden Gesichtern auf.
Ich habe schlechte Erfahrungen gemacht mit dem Satz: "Ich übe gerade Häkeltiere machen.", durchwegs gute Erfahrungen hingegen mit dem Satz: "Ich übe gerade Amigurumis machen, eine japanische Häkelkunst." – Das weckt beim anderen blitzschnell zuerst immer Bilder von irgendwelchen Kampfsportarten oder Yoga und Meditationsmethoden. Und dann noch von verschnörkelter Kalligraphie in schwarzer Tinte auf Pergamentrollen. Bis dann im Hirn des anderen – hinter "japanisch" und vor "-kunst" – das Wort "Häkeln" durchdringt, ist er schon so in dieser positiv besetzten, exotischen Bilderwelt drin, dass er das banal Klingende im Ganzen auch verkraftet.


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